Eva-Maria Reinwald: Menschenrechte und Umweltschutz

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»Bewegen und verändern«

Eva-Maria Reinwald: Menschenrechte und Umweltschutz

Wie lässt sich Globalisierung politisch so gestalten, dass Menschenrechte und Umweltstandards verpflichtend eingehalten werden? Welche Rolle spielen Unternehmen bei weltweiten Nachhaltigkeitsprozessen? Diese Fragen beschäftigen Eva-Maria Reinwald, die seit 2016 bei SÜDWIND – Institut für Ökonomie und Ökumene als Fachpromotorin für Wirtschaft und Menschenrechte arbeitet. Bereits als Schülerin habe sie sich in ihrer Heimat in Wuppertal mit Umwelt- und Klimaschutzfragen beschäftigt, erinnert sie sich, mit elf Jahren sei sie einer Greenpeace-Jugendgruppe beigetreten.

Eva-Maria Reinwald studierte in Wuppertal zunächst Deutsch, Gesellschaftswissenschaften und Evangelische Religion auf Lehramt, schloss dann aber einen Master in Politikwissenschaften in Greifswald an. Die Universität Greifswald gilt seit langem als »Kaderschmiede« für künftige Umwelt- und Naturschützer:innen, was Eva-Maria Reinwald indirekt bestätigt: »Der Studiengang Landschaftsökologie hat sicher eine herausgehobene Stellung und wirkt sehr stark auch auf andere Fachrichtungen dort.« Nach ihrem Masterabschluss 2011 arbeitete sie drei Jahre als Studienleiterin für gesellschaftspolitische Jugendbildung an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. 2014 ging sie nach Dortmund und übernahm beim Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen einen Job als Projektreferentin für Klimagerechtigkeit.

Fortschritte

2011 wurden die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte beschlossen, zu deren Umsetzung verabschiedete die Bundesregierung 2016 einen Nationalen Aktionsplan. »Die Diskussion über Wirtschaft und Menschenrechte hat in den letzten zehn Jahren Fortschritte gemacht, das Abstreiten jedweder Verantwortung ist nicht mehr so einfach«, so Eva-Maria Reinwald. Gleichwohl sei es noch ein langer Weg hin zu wirklich nachhaltigen Lieferketten.

Ein Schritt auf diesem langen Weg vollzog sich in Deutschland am 11. Juni 2021. Nach langem Kampf zivilgesellschaftlicher Gruppen verabschiedete der Bundestag das »Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten«, das am 1. Januar 2023 in Kraft treten wird. Und am 23. Februar 2022 hat die EU-Kommission den Entwurf für ein europaweites Lieferkettengesetz vorgelegt, der in Teilen sogar über das deutsche Gesetz hinausgeht.

Endlich ein Lieferkettengesetz

Alles gut also, Frau Reinwald? »Das wäre übertrieben«, sagt die Politikwissenschaftlerin, die den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und Umweltstandards in den globalisierten Wertschöpfungsketten seit Jahren intensiv begleitet – sowohl bei SÜDWIND als auch in der »Initiative Lieferkettengesetz«, einem Bündnis aus mehr als 125 zivilgesellschaftlichen Organisationen. »Es ist grundsätzlich positiv, dass in Deutschland demnächst ein Lieferkettengesetz in Kraft treten wird und die EU-Kommission mit einem Entwurf nachgezogen hat.« Doch bei aller prinzipiellen Zustimmung sehe sie sowohl beim deutschen Gesetz als auch beim EU-Entwurf noch einige Mängel.

Was beinhaltet ein Lieferkettengesetz und warum ist es so wichtig? »Es verpflichtet Unternehmen zur Prüfung entlang der gesamten Lieferkette – etwa vom Baumwollanbau bis zum fertigen T-Shirt – , ob während des Herstellungsprozesses Menschenrechte oder bestimmte Umweltstandards verletzt werden. Ist dem so, müssen sie entsprechende Maßnahmen ergreifen und werden bei Nichteinhaltung sanktioniert.« Die Hoffnung, Unternehmen würden sich freiwillig daranhalten, habe sich als trügerisch erwiesen.

Meilenstein mit Mängeln

Der ehemalige Bundesentwicklungsminister Gerd Müller hat sich sehr für mehr unternehmerische Verantwortung bei den Produktionsbedingungen ausgesprochen und ein Lieferkettengesetz unterstützt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt er, »es gibt kein Lieferkettengesetz, in keinem europäischen Land, mit Standards, wie wir das jetzt in Deutschland bekommen.« Was wünscht sich beziehungsweise was kritisiert Eva-Maria Reinwald? »Es fehlt vor allem eine zivilrechtliche Haftung und damit die Möglichkeit für Betroffene, vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz zu klagen. «Zudem gelte das Gesetz zunächst nur für rund 900 Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeiter:innen, ab 2024 auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen. »Die Begründung, für kleinere Unternehmen bedeute das Gesetz einen unzumutbaren bürokratischen Aufwand, betrachte ich als vorgeschoben.« Die Wirtschaftslobby habe hier bei der Verwässerung des ursprünglich geplanten Entwurfs ganze Arbeit geleistet, auch im Hinblick auf eine Abstufung der Pflichten nach direkten und mittelbaren Zulieferern, die nicht dem internationalen Standard entspreche.

Besser, aber nicht gut

Nach diesem »Etappensieg mit vielen Makeln« war nicht nur Eva-Maria Reinwald gespannt auf den Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz. Sie sieht zumindest einen Fortschritt gegenüber der deutschen Version: »Das Gesetz soll alle Unternehmen im EU-Binnenmarkt mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen und einem jährlichen Nettoumsatz von 150 Millionen Euro erfassen. Und in den sogenannten Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau sollen die Pflichten bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen und einem Nettoumsatz von 40 Millionen Euro gelten.« Doch was auf den ersten Blick gut aussieht, habe mehrere Pferdefüße: »Auch Transport, Bauwesen, Energie und Finanzen bergen Risiken für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen. Und mit dem aktuellen Entwurf würde das EU-Lieferkettengesetz weniger als ein Prozent aller Unternehmen in der EU erfassen – das ist viel zu wenig.«

Zwar betone der Kommissionsentwurf die zentrale Bedeutung des Privatsektors für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und verpflichte Unternehmen, einen Klimaschutzplan zu erstellen, der mit dem 1,5-Grad-Ziel übereinstimmt. »Das klingt gut, doch müssen Unternehmen, die ihren eigenen Plan nicht einhalten, keine Konsequenzen befürchten.« Eine weitere Schwachstelle: Das EU-Lieferkettengesetz soll nur für »etablierte Geschäftsbedingungen« gelten. Damit fallen z. B. Rohstoffe, die zum großen Teil über die Börse bezogen werden, aus den Verpflichtungen raus. Eva-Maria Reinwald sieht die deutsche Politik in der Pflicht: »Im Europäischen Rat wird auch die Bundesregierung über den Entwurf verhandeln – und die hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, sich für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einzusetzen.« Die Zivilgesellschaft werde sie an dieses Versprechen erinnern, so Reinwald.

Treiber und Bremser

Seit 2014 wird auch auf Ebene der UN versucht, transnationales Unternehmenshandeln im Sinne der Menschenrechte zu regulieren. Ziel ist ein UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Treaty). »Dieser Prozess wurde von Ecuador und Südafrika angestoßen und wird seither vor allem von den Ländern des Globalen Südens vorangetrieben«, so Eva-Maria Reinwald. Von Beginn an habe es dem Treaty-Prozess an konstruktiver Beteiligung der westlichen Industrienationen gemangelt, in sieben Jahren Verhandlungsgeschichte habe die EU immer noch kein Verhandlungsmandat beschlossen. »Deutschland und die EU müssen hier viel aktiver werden«, fordert die 38-Jährige.

Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO sind weltweit mehr als 160 Millionen Kinder zur Arbeit gezwungen. »Kinder werden überall in globalen Wertschöpfungsketten ausgebeutet, von der Kakao-, Textil- und Lederproduktion über agrarische Lieferketten bis hin zur Produktion elektronischer Produkte.« Nach einer von SÜDWIND im Auftrag der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) durchgeführten Untersuchung zu vier Ländern – darunter Côte d’Ivoire und Uganda – ist die Einkommensarmut von Familien hauptverantwortlich für Kinderarbeit. »Ein wirksames Lieferkettengesetz kann hier deutliche Verbesserungen schaffen, aber gleichzeitig müssen wir strukturelle Ungerechtigkeiten bekämpfen, wie den fehlenden Zugang zu Land oder Krediten.«

Ausgezeichnetes Projekt

In Deutschland kommen 134 Mobiltelefone auf 100 Einwohner, nach Berechnungen des Digitalverbandes Bitkom lagern in unseren Schubladen mehr als 200 Millionen ungenutzte Handys. 66 Elemente des Periodensystems sind in Handys enthalten, davon werden viele unter Missachtung der Menschenrechte und des Umweltschutzes abgebaut. Eva-Maria Reinwald nennt das Beispiel Lithium: »Das wird im sogenannten Lithiumdreieck Chile, Argentinien und Bolivien gewonnen. Dabei wird enorm viel Wasser verbraucht, das indigenen Gemeinschaften für ihre Viehzucht fehlt.« Oder Kobalt, das in der Demokratischen Republik Kongo häufig im unregulierten Kleinbergbau angebaut werde: »Hier gibt es keinerlei Arbeitsschutz, Kinderarbeit ist an der Tagesordnung.«

Gemeinsam mit Partnern aus Nordrhein-Westfalen hat SÜDWIND die auf dem beliebten Computerspiel Minecraft basierende Spielewelt MineHandy entwickelt. Hier werden in Form einer journalistischen Recherchereise ökologische und soziale Herausforderungen in der Wertschöpfungskette von Mobiltelefonen thematisiert. »MineHandy wurde gemeinsam mit Jugendlichen und Medienpädagogen entwickelt, junge Technikaffine haben das zu ihrem Thema gemacht«, berichtet Eva-Maria Reinwald von der Entstehung des etwas anderen Computerspiels, das 2019 als Vorreiter-Projekt der KlimaExpo NRW ausgezeichnet wurde.

Wut motiviert

In ihrer Arbeit geht es Eva-Maria Reinwald darum, gravierende Missstände zu verbessern. Gibt es Themen, die sie besonders berühren? »Wenn ich sehe, wie die örtliche Bevölkerung in Indien oder Bangladesch durch giftige Abwässer aus der Schuhproduktion leidet, nimmt mich das schon mit.« Auch bewusstes Wegschauen bei den Bedingungen, unter denen die von uns genutzten Waren produziert werden, mache sie wütend. Aber: »Wichtig ist, was auf die Wut folgt – fühle ich mich gelähmt oder zusätzlich motiviert?«

Ihre Motivation zieht Eva-Maria Reinwald, die gerne wandert, schwimmt und ehrenamtlich Flüchtlingskinder bei Hausaufgaben betreut, aus der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure für ein gemeinsames Ziel, aus den – wenn auch oft kleinen – Erfolgen: »Das Lieferkettengesetz ist ein gutes Beispiel, wie zivilgesellschaftliche Bewegungen Diskussionen prägen und politische Rahmenbedingungen hervorbringen können, die es den Menschen einfacher machen, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen.«

 

Weitere Informationen

=> Südwind-Institut

=> https://handyaktion-nrw.de/materialien/minehandy

=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

 

 

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