Madee Pande: Keine halben Sachen beim Klimaschutz

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»Entweder ganz oder gar nicht«

Madee Pande: Keine halben Sachen beim Klimaschutz

»Das Klima hat sich immer schon verändert.« »Die Wissenschaftler:innen verbreiten Panik, um sich lukrative Forschungsaufträge zu sichern.« »Es ist doch schön, wenn es bei uns wärmer wird.« Drei von unzähligen dummen Aussagen, mit denen sich Madee Pande und ihre Mitstreiter:innen von Fridays for Future Soest herumschlagen müssen, wenn sie ihren Infostand in der malerischen Altstadt aufgebaut haben, um möglichst viele Menschen zum Einsatz gegen den Klimawandel zu motivieren. »Da komme ich schon mal an meine Toleranzgrenze«, rollt die 18-Jährige mit den Augen.

Als wir sie für dieses Buch interviewen, steckt Madee Pande – der balinesische Name führt auf den väterlichen Zweig ihrer Familie zurück – mitten in den Abiturprüfungen. Dennoch wirkt sie entspannt, konzentriert und klar, ist offensichtlich das Tanzen auf mehreren Hochzeiten gewohnt. Und schließlich duldet auch der Einsatz für wirksamen Klimaschutz keine Pause in dieser stressigen Lebensphase, unter anderem muss der Globale Klimastreik am 25. März vorbereitet werden: »Die ersten hundert Tage der neuen Ampel-Koalition sind vergangen und immer noch gibt es keine vernünftigen und angemessenen Pläne in Bezug auf den Klimaschutz.«

Erfolg in Soest

Ihr Engagement begann vor rund drei Jahren. »Damals habe ich eine Freundin spontan zu einem Treffen der BUNDjugend Soest begleitet.« Das zentrale Thema dieses Treffens waren die Planungen zum Klimastreik 2019, und damit hatte Madee Pande ihre Berufung gefunden: »Das Thema hat mich nicht mehr los gelassen.« 2019 war in gewisser Hinsicht das »Geburtsjahr« von Fridays for Future, auch in Soest: »Wir haben damals angefangen, auf der lokalen Ebene unheimlich viel zu machen – von Informationsveranstaltungen bis zur Präsenz in Sitzungen des Soester Stadtrats.« Nicht alleine Fridays for Future und BUNDjugend: Laut Madee Pande gibt es in Soest viele Klimaschutzinitiativen, die im Netzwerk »Zukunft-Soest« zusammenarbeiten.

Der Einsatz der Klimaaktivist:innen war schnell von Erfolg gekrönt: Im Juni 2020 beschloss der Rat der Stadt, dass Soest bis zum Jahr 2030 klimaneutral werden soll. Die ersten Maßnahmen wurden 2021 auf den Weg gebracht, unter anderem das »2000 Dächer«- Förderprogramm zum Ausbau der Fotovoltaik auf den Dächern privater Gebäude. »Mit dem Ratsbeschluss haben wir erreicht, was wir gefordert haben«, sagt Madee Pande und verweist darauf, dass sich die Stadt Soest im Sommer 2019 noch schwer damit getan habe, im Gegensatz etwa zum benachbarten Lippstadt den Klimanotstand auszurufen.

Hinsichtlich der Umsetzung des Ratsbeschlusses zeigt sich Mandee Pande noch skeptisch: »Ich habe in Soest noch von keiner Politikerin und keinem Politiker gehört, dass Klimaschutz dringend notwendig ist. Viele denken vermutlich, das ist schick und da muss man irgendwie mitmachen.« Ihr aktuell noch fehlender Enthusiasmus speist sich auch aus den bisherigen Erfahrungen mit der Stadtverwaltung: »Man hat erstmal neue Fahrradständer aufgestellt, um die Innenstadt autofreier zu machen, das kann es ja nicht sein.«

1,5 Grad sind nicht verhandelbar

Ohnehin dürfe es beim Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel keine halben Sachen geben, sagt Madee Pande: »Entweder ganz oder gar nicht, ein bisschen Klimaschutz wird nicht funktionieren.« Neben der Mitarbeit am »Masterplan Klimapakt Soest« konzentrieren sich die Bildungs- und Informationsaktivitäten von Madee Pande und Fridays for Future Soest auf die bereits jetzt massiv vom Klimawandel betroffenen Weltregionen, die Most affectetd people and areas (MAPA). »Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Deutschland – noch – eine privilegierte Sicht auf die Dinge haben dürfen.« Die Einhaltung der 1,5-Grad Grenze dürfe nicht auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die am wenigsten zum Problem beigetragen haben.

Madee Pande verteidigt das Festhalten von Fridays for Future an der Grenzmarke von 1,5 Grad Celsius gegen die Kritik, dass ein absehbares Verfehlen in kontraproduktive Resignation münden könne: »Dieses Ziel ist unverhandelbar, weil sonst die zentralen Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden.« Die früheren Bundesregierungen seien trotz immer neuer Ankündigungen nicht in der Lage gewesen, die für die Erreichung des 1,5 Grad-Ziels notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. »Die Einhaltung der 1,5 °C-Grenze scheitert nicht an der Machbarkeit. Sie scheitert an politischem Willen.«

Keine Zeit mehr

»Diesen politischen Willen muss die neue Bundesregierung jetzt beweisen«, so die Forderung von Madee Pande und Fridays for Future. Das im Juni 2021 beschlossene neue Bundes-Klimaschutzgesetz, mit dem das deutsche Treibhausgasminderungsziel für das Jahr 2030 auf minus 65 Prozent gegenüber 1990 angehoben wurde, hält sie für einen Schritt in die richtige Richtung, der aber nicht weit genug geht. Und es sei ein Irrweg, vor allem auf die individuelle Verantwortung und das klimafreundliche Handeln der Bürger:innen zu setzen. »Dafür haben wir keine Zeit mehr. Die Bundesregierung muss sofort handeln, etwa mit der Verabschiedung eines verbindlichen 1,5 Grad-konformen CO2-Budgets, einer radikalen Verkehrswende, dem entschlossenen Ausbau der erneuerbaren Energien und einem raschen Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern.«

Neben dem fehlenden politischen Willen gibt es durchaus hemmende Zielkonflikte wie den zwischen Natur- und Klimaschutz, der etwa den Bau neuer Windenergieanlagen oder das Verlegen leistungsfähiger Stromleitungen erschwert. Gehen die Möglichkeiten der Bürger:innenbeteiligung da manchmal zu weit? Madee Pande zögert zunächst mit einer Einordnung, bezieht dann aber klar Stellung: »Es ist enorm wichtig, dass die Menschen vor Ort über die Gestaltung ihrer Umgebung maßgeblich mitentscheiden können. Wir sind beim Klimawandel aber an einem Punkt, der unser Weiterleben grundsätzlich infrage stellt. Und es mitunter notwendig macht, schmerzhafte Prioritäten zu setzen.« Sie verweist auf die aktuellen Abstandsregelungen, die neue Anlagen vielerorts unmöglich machen würden: »Natürlich gibt es Ästhetischeres als Windräder in unmittelbarer Nachbarschaft. Aber wie wollen wir sonst die Energiewende schaffen?«

Medien in der Pflicht

Madee Pande kann nicht verstehen, dass die Klimakrise von vielen Menschen bei uns nicht in ihrem ganzen Ausmaß erkannt oder bestenfalls verharmlost wird. Möglicherweise liege es an der fehlenden direkten Betroffenheit, vermutet sie, und vergleicht die öffentliche Aufmerksamkeit mit der gegenüber der Corona-Pandemie: »Ebenso existenziell, doch die wird nur von wenigen Spinner:innen verharmlost oder gar geleugnet.« Der Klimawandel sei für viele Menschen in Deutschland immer noch eine abstrakte, in weiter Ferne liegende Bedrohung – zumindest so lange, bis Katastrophen wie die Überschwemmungen an der Ahr die Folgen ins Bewusstsein rücken. Madee Pande nimmt ausdrücklich die Medien in die Verantwortung: »Ich denke, über den Klimawandel und seine Folgen, aber genauso über unsere Handlungsmöglichkeiten, lässt sich auch außerhalb von Katastrophenzeiten noch deutlich mehr und klarer berichten.«

Die Abiturientin ist aktiv bei der BUNDjugend und bei Fridays for Future, also bei einer vergleichsweise klassisch aufgebauten NGO und einer hierarchiefreien Bewegung. Was gefällt ihr besser? »Wir brauchen beides«, sagt sie diplomatisch, »Disziplin, Vernetzung und Institutionalisierung genauso wie spontane Aktionen und anhaltenden außerparlamentarischen Druck.« Die basisdemokratische Arbeitsweise bei Fridays for Future führe mitunter zu anstrengenden und andauernden Diskussionen, aber: »Wenn eine Entscheidung gefallen ist, sind wir extrem reaktionsschnell und handlungsfähig.«

Positive Erfahrungen

Engagement bei Fridays for Future bedeutet viel Arbeit, »aber ich bekomme auch viel zurück«, beteuert Madee Pande. »In den letzten drei Jahren habe ich nicht nur sehr viel gelernt, sondern auch die Möglichkeit bekommen, gemeinsam mit tollen Menschen für ein wichtiges Ziel zu arbeiten.« Der Zusammenhalt und die Stimmung seien unglaublich motivierend: »Dafür bin ich sehr dankbar.« Es bestärke sie, wenn in einer Kleinstadt wie Soest Hunderte oder sogar Tausende für das Klima und ihre Zukunft streiken. »Das gibt Hoffnung, dass eine Masse von so vielen Menschen letztendlich doch etwas bewegen kann.«

Madee Pande kann verstehen, wenn sich Menschen durch die harten Folgen der Klimakrise und auch durch die notwendigen massiven Maßnahmen abgeschreckt fühlten, in Resignation verfielen. Deshalb betone sie gerne die positiven Synergieeffekte von Klimaschutzmaßnahmen: »Grüngürtel in Stadtnähe binden nicht nur CO2, sondern verbessern auch die Luftqualität und sind im besten Fall auch ein attraktives Naherholungsgebiet.« Die Umstellung auf erneuerbare Energien bedeute auch eine geringere Abhängigkeit von anderen, oft wenig demokratischen Staaten und deren Ressourcen – eine Aussage, deren zeitlose Gültigkeit uns seit einigen Monaten besonders schmerzhaft vor Augen geführt wird.

Askese ist kein Ziel

Ohne die richtigen politischen Entscheidungen wird der Kampf gegen den Klimawandel nicht zu gewinnen sein. Gleichwohl tragen individuelle Verhaltensweisen und eine bewusste Lebensführung zur Glaubwürdigkeit der Klimaschutzakteur:innen bei – wie sieht es da bei ihr aus? »Ich habe es da unfassbar einfach, lebe in einer Kleinstadt mit einem ausreichenden Angebot an klimaschonend hergestellten Produkten und komme überall mit dem Fahrrad hin.« Aber niemand müsse und könne perfekt sein, eine Welt der Askese sei kein lohnendes Ziel. Was fehlt ihr zur Perfektion? »Eine gewisse Genussfreude, die mich mitunter zum Kauf nicht regionaler Lebensmittel verleitet. Kaffee zum Beispiel, den trinke ich einfach zu gerne.«

Nach dem Abitur möchte sie Politik und Gesellschaftswissenschaften studieren, am liebsten in Bonn. »Eine schöne Stadt mit sehr vielen Möglichkeiten, mich politisch zu engagieren.« Das wird sie also weiterhin, und dabei mitunter viel Geduld aufbringen müssen gegenüber ignoranten Zeitgenosse:innen. Ihre Strategie: »Die Menschen bei ihrem Standpunkt abholen und zeigen, wie attraktiv eine klimafreundliche Zukunft für jede und jeden von uns sein kann.« Und was war jetzt das dümmste Gespräch, an das sie sich erinnern kann? »Das war in Soest, als ein Mann uns vorwarf, wir hätten Luxusprobleme. Und im nächsten Satz auf die aus seiner Sicht hässliche Optik von Fotovoltaikanlagen zu sprechen kam …« So viel zum Thema Luxusprobleme.

 

Weitere Informationen

=> Fridays for Future

=> BUNDjugend NRW

=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

 

World Cleanup Day: Die Welt von Plastik befreien

 

KLIMA.FORUM 2022: 300 Teilnehmende diskutieren Transformation

 

Dritter Teil des Weltklimaberichts macht Mut