Ingrid Lagemann: KlimaWelten in Hilchenbach

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»Da liegt noch viel gemeinsamer Einsatz vor uns«

Ingrid Lagemann: KlimaWelten in Hilchenbach

Hilchenbach liegt im Siegerland, im südwestlichen Teil des Rothaargebirges. Den gut 15.000 Einwohner zählenden Luftkurort kennen vor allem Wander:innen, die auf dem Rothaarsteig unterwegs sind. Wenn sie in Hilchenbach Station machen, wird ihnen der historische Marktplatz ebenso ins Auge fallen wie die im 12. Jahrhundert erbaute Ginsburg, wo Wilhelm von Oranien 1568 seinen Feldzug zur Befreiung der Niederlande aus dem spanisch-habsburgischen Joch vorbereitet haben soll. Die wenigsten Besucher allerdings dürften wissen, dass in Hilchenbach mit den KlimaWelten seit einigen Jahren eine außerschulische Umweltbildungsstätte beheimatet ist.

Die Geschichte des Vereins KlimaWelten Hilchenbach ist eng verbunden mit der 1. Vorsitzenden Ingrid Lagemann. Und es ist die Geschichte einer glücklichen Rückkehr. Denn nachdem die Leiterin der Florenburg-Grundschule mit ihren Schüler:innen im Sommer 2008 aus dem 1906 erbauten Gebäude im Kirchweg aus- und in ein neues Domizil auf dem Schulberg eingezogen war, konnte sie sich den Überlegungen und Diskussionen, was in dem schönen alten Gebäude eingerichtet werden könnte, nicht entziehen – und kehrte Jahre später in »ihre« alte Schule zurück.

Wanderjahre

Abschied und Neubeginn – etwas, das Ingrid Lagemann seit Kindesbeinen kennt. Sie wurde im brasilianischen Pôrto Alegre geboren, zog mit acht Jahren mit ihren Eltern für einige Jahre ins nordhessische Kassel und dann noch einmal nach Sao Paulo, wo sie ihr Abitur ablegte. Wieder in Deutschland, begann sie ein Lehramtsstudium in Bielefeld.

Entsprechend ihrem großen Interesse an Naturschutzthemen wählte sie neben dem Schwerpunkt Evangelische Religion als zweites Wahlfach Biologie. Die Frage, wohin wir uns auf dieser Erde entwickeln, wurde ihr bedrängend deutlich durch die Lektüre des Buches ›Der stumme Frühling‹ von Rachel Carsons. Zu ihrem zweiten Staatsexamen 1971 griff sie dies in dem ihr persönlich wichtigen Kontext auf, »dem uns in der Schöpfungsgeschichte gegebenen Verantwortungsauftrag – bis heute ein Lebensthema für mich«.

Neustart in Hilchenbach

Nach einigen Jahren als Lehrerin an einer Bielefelder Schule ließ sie sich nach dem Wechsel ihres Ehemanns an ein Gymnasium in Hilchenbach beurlauben, um sich in den folgenden neun Jahren der gewachsenen Familie mit ihren drei Söhnen zu widmen. Fragen nach der Lebensgestaltung standen wie schon in Bielefeld im Mittelpunkt der Arbeit in Gemeindekreisen der evangelischen Kirchengemeinde. Der Einzug in ein Haus mit großem Gartengrundstück ermöglichte wertvolle Erfahrungen: »Für mich, die bis dato nur wenig über Gartenarbeit wusste, ergab sich die tolle Möglichkeit, etwas über ökologischen Anbau zu lernen und direkt in die Praxis umzusetzen.«

1988 stieg sie wieder in den Schuldienst ein – genau in dem Gebäude, in dem heute der Verein KlimaWelten arbeitet. »Umwelt- und Naturschutzthemen erhielten durch die in Rio 1992 beschlossene AGENDA 21 Gewicht«, erinnert sich Ingrid Lagemann – nicht nur bei der Unterrichtsgestaltung, sondern auch ganz praktisch: »Als ich anfing, gab es rund um die Schule nur eine Asphaltwüste, einen matschigen Hang und ein trauriges Gärtchen.« Nach einer Fortbildung zur Schulhofgestaltung stieß ihre Idee einer kindgerechten und naturnahen Umgestaltung bei Kolleg:innen und Eltern auf große Resonanz. So wurde aus der Tristesse eine schöne und naturnah gestaltete Spiellandschaft.

Dann war Schluss im Kirchweg. Ingrid Lagemann denkt an den Beginn des Schuljahres 2008/2009: »Natürlich waren wir traurig, aber es ging nicht anders: Für die vielen Klassen war das alte Gebäude einfach zu klein geworden, besonders weil man im Begriff war, eine Ganztagsbetreuung aufzubauen«. Doch es dauerte nicht lange, da hatte die Schulgemeinde mit der Anlage eines Schulgartens mit Hochbeeten und einer Streuobstwiese inklusive Insektenhotel in ihrer neuen Heimat an die »grüne« Tradition des alten Schulgeländes angeknüpft.

Im Unruhestand

Nach ihrem Abschied aus dem Schuldienst im Sommer 2011 wollte Ingrid Lagemann vor allem mehr Zeit für Besuche bei ihren Enkelkindern haben. Doch als sich eine neu gebildete Initiative Gedanken darüber machte, was in dem nach drei Jahren immer noch leerstehenden alten Schulgebäude installiert werden könnte, beteiligte sie sich. In der Klimakommune Hilchenbach lag die Etablierung einer Klimabildungsstätte nahe. Zunächst wurde das Thema durch sogenannte »KlimaTage« getestet, für die Ingrid Lagemann durch ihre Kontakte in KiTa- und Schullandschaft Erzieher:innen und Lehrkräfte motivieren konnte, ihre Projekte vorzustellen.

Einen wichtigen Impuls gab dann eine Machbarkeitsstudie, mit der das NaturGut Ophovens aus Leverkusen beauftragt wurde, die großes Potenzial für einen außerschulischen Bildungsort zu Klimaschutzthemen in Hilchenbach ermittelte. Parallel kam es zur Gründung des Fördervereins Klimabildungsstätte Südwestfalen. Sie war zunächst vorsichtig – »ich würde eher realistisch sagen« –, stellte sich dann aber doch als zweite Vorsitzende zur Verfügung.

Holpriger Weg

Trotz vielfacher wohlwollender Unterstützung blieb es zunächst ein holpriger Weg. Im September 2013 erklärte die Stadt, dem Verein das Gebäude der Alten Florenburgschule für die kommenden fünf Jahre zu überlassen. Doch ein plötzlich aufgetauchter Interessent wollte dort eine Pflegestation für Wachkomapatienten aufbauen und erhielt zunächst vorrangig die Option des Erwerbs. »Wir fielen ins Koma und warteten«, erzählt Ingrid Lagemann. Nach einem halben Jahr zog sich der Interessent zurück, der Verein konnte seine Idee weiterverfolgen. Mit der Stadt wurden die vertraglich zu regelnden Änderungen beraten und es galt, die Umsetzung des Projektes KlimaWelten zu strukturieren und erste Planungsschritte umzusetzen.

Der Verein nutzte die Wartezeit und investierte die ersten gesammelten Gelder in die Gestaltung eines Vortragsraums. Im Mai 2015 erfolgte dann die Eröffnung des ersten Repair-Cafés im Kreis Siegen-Wittgenstein. Dennoch liebäugelten einige Stadtverordnete weiter mit dem gewinnbringenden Verkauf des Hauses und fremdelten mit der Realisierungsmöglichkeit einer Klimabildungseinrichtung. Als dann der positive Förderbescheid der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen für die Einrichtung einer KlimaKüche ins Haus flatterte, herrschte nicht nur Freude – schließlich war jetzt klar, dass sich die Stadt angesichts der großen Fördersumme festlegen musste, dem Verein das Gebäude für zehn Jahre zur Verfügung zu stellen.

Der endgültige Durchbruch kam 2016, als der frisch gewählte Bürgermeister das Gebäude verkaufte, und der neue Eigentümer verpflichtet wurde, den KlimaWelten einen Teil des Gebäudes zehn Jahre mietfrei zur Verfügung zu stellen. Doch auch als es eigentlich loszugehen schien, gab es weiter Einwände, bis die Fördersumme der Stiftung in die Gestaltung der ersten Räume gesteckt werden konnte. Ende 2016 nahm die Entwicklung dann richtig Fahrt auf, als die KlimaWelten in den Kreis der Regionalzentren im Landesnetzwerk Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) NRW aufgenommen wurden.

Kochen und forschen

Heute sind die KlimaKüche und das ebenfalls von der Stiftung geförderte KlimaLabor zentrale Bausteine des Bildungsangebots in den KlimaWelten. In der KlimaKüche kommt man dem CO2-Fußabdruck unterschiedlicher Lebensmittel auf die Spur. Hier kochen (nicht nur) Kinder und Jugendliche gemeinsam leckere Gerichte aus selbst gesammelten Wildkräutern, saisonalen und regionalen Zutaten. Das Themenangebot erweitert sich ständig und umfasst inzwischen Themen zu biologischer Vielfalt, fairem Handel oder Müllvermeidung.

Im KlimaLabor führen kleine und große Forscher:innen Experimente zu den Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels durch und lernen, welche Auswirkungen ihr eigenes Handeln auf globale Entwicklungen hat. Für Schülerakademien, Lehrerworkshops, Vorträge und Ausstellungen gibt es Veranstaltungs- und Seminarräume.

Zukunftsfähig machen

Als BNE-Regionalzentrum unterstützen die KlimaWelten Schulen und KiTas, entwickeln Fortbildungsangebote für Lehrer:innen und Erzieher:innen und bauen in Zusammenarbeit mit dem Regionalen Bildungsbüro an dem BNE Netzwerk in Siegen-Wittgenstein. »Durch die Aufnahme in die Förderung durch das BNE-Landesnetzwerk konnten wir hauptamtliches Personal einstellen.« Ingrid Lagemann erzählt noch immer staunend und mit viel Dankbarkeit, wie sie erleben durfte, dass sich eine engagierte Mitarbeiterin und Honorarkraft nach der anderen dazugesellte und jede sich mit viel Herzblut für die Themen in die Entwicklung und Umsetzung der pädagogischen Angebote einarbeitete.

»Diese positive explosionsartige Entwicklung brachte allerdings auch zusätzliche Aufgaben mit sich«, fährt sie fort. »Plötzlich mussten wir uns um solche Dinge wie Lohnabrechnungen, Hausbewirtschaftung und ähnliches kümmern.« Ein von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen geförderter Organisationsprozess mit einem externen Berater, an dem sich neben dem Vorstand alle Mitarbeiter:innen und Honorarkräfte, auch einige bislang eher »stille« Vereinsmitglieder, beteiligten, habe allen Beteiligten deutlich gemacht, wie wichtig eher zähe Aufgabenbereiche wie Infrastruktur oder Finanzen sind.

Langfristige Stabilität

»Ein wichtiges Ziel ist die langfristige finanzielle Stabilität«, betont Ingrid Lagemann. Deshalb arbeitet der Vereinsvorstand an einem Finanzierungskonzept, mit dem regionale Unternehmen angesprochen werden sollen. Die beharrliche und ausgesprochen agile 74-jährige beschäftigt dabei vor allem eine Frage: »Wie kommen wir an den Punkt, dass neben der ehrenamtlichen Übernahme der im Laufe der Jahre gewachsenen Organisationsaufgaben auch eine Finanzierung wenigstens eines Teils dieser Aufgaben steht?«

Mittlerweile ist der NABU Siegen-Wittgenstein als Mieter in die KlimaWelten eingezogen, der Beginn einer nicht nur aus finanzieller Sicht interessanten Partnerschaft: »Wir werden bei strittigen Themen wie Windenergie und Artenschutz sicher zusammenführende Diskussionen haben.« Das muss nicht schlecht sein angesichts der Herausforderungen für eine nachhaltige Zukunft, die Ingrid Lagemann so beschreibt: »Mit unserem gewachsenen Wissen um die Themen Klima- und Umweltschutz stehen wir vor der Aufgabe, beharrlich an der Erreichung und Umsetzung der 17 Ziele für die Zukunft unserer Welt zu arbeiten. Da liegt noch viel gemeinsamer Einsatz vor uns.«

Weitere Informationen

=> KlimaWelten Hilchenbach

=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

 

Organisationen stärken

 

Neue Attraktion in den KlimaWelten Hilchenbach