Mehr Gärten für die ganze Stadt

Mehr Gärten für die ganze Stadt

Das neue Stiftungs-Projekt „Urban Gardening in Siegen-Wittgenstein“ will Initiativen vernetzen und den Eigenanbau regionaler Lebensmittel stärken. Die Agrarwissenschaftlerin Lea Burwitz ist angetreten, um die Gemeinschaftsgärten in der Region zu vernetzen und zu professionalisieren. Wir erkundigten uns nach ihren Erfahrungen. 

 

Lassen sich die Menschen im Kreis Siegen-Wittgenstein für Urban-Gardening begeistern?
Lea Burwitz: Durchaus. Das Thema kommt auch in einer ländlichen Region wie dem Kreis Siegen-Wittgenstein gut an. Zudem ist Siegen eine Universitätsstadt mit vielen jungen Menschen, die solche Themen natürlich schneller aufgreifen und adaptieren. Seit einiger Zeit entstehen neue Projekte rund um die Themen Gemeinschaftsgarten, Nachhaltigkeit, Lebensmittel, dezentral im ganzen Stadtgebiet und im Kreis. Viele würden gern gärtnern, haben aber keinen Garten. Mit Urban Gardening lässt sich das Thema Nachhaltigkeit positiv besetzen.

Wie meinen Sie das?
Nachhaltigkeit wird häufig mit Verzicht gleichgesetzt. Weniger Fleisch, weniger Auto fahren oder weniger Flugreisen. Der Ansatz von Urban Gardening dagegen ist positiv: Wir haben zusammen Spaß  und gestalten schöne Dinge im Garten. Das trifft den Nerv der Zeit. Davon wollen viele mehr, keiner findet Gärtnern oder Gemeinschaft doof. Mit Urban Gardening wird zudem wieder stärker eine Kultur der Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln etabliert. Außerdem wird Wissen zum Anbau erhalten oder (wieder) geschaffen,

Das heißt das Wissen ging verloren?
Auf jeden Fall, es gibt große Wissenslücken. Viele Menschen versuchen sich dieses Wissen aus Büchern oder Videos neu anzueignen aber eher selten von anderen Menschen. Wir versuchen diese Menschen zusammenzubringen, weil gerade Ältere über enorm viel Erfahrung verfügen und Techniken kennen, die es zu erhalten gilt. Deshalb wäre es toll, wenn wir mehr Seniorinnen und Senioren in die Projekte integrieren könnten.

Wie muss man sich Ihre Arbeit praktisch vorstellen?
Wir versuchen Initiativen, Vereine und Institutionen zu bündeln und zu vernetzen. Es lohnt sich, Ressourcen und Wissen zu teilen, sich gegenseitig bei der Arbeit zu unterstützen. Manche Spezialwerkzeuge müssen nur einmal angeschafft werden – auch das ist Ressourcenschutz. Wir veranstalten Netzwerktreffen und machen die Arbeit unserer Partner über die Webseite www.urbangardening-siwi.de und die sozialen Medien sichtbar. Begleitend bieten wir für und aus dem Netzwerk heraus Bildungsangebote an

Wie sehen diese Bildungsangebote konkret aus?
Wir ermöglichen es, Menschen aus der Region ihre Expertise mit dem Netzwerk und der Öffentlichkeit zu teilen. Zum Beispiel haben wir mit Referent:innen aus der Region Workshops zum Thema Nutzpflanzenvielfalt, Tomatenanbau, Kompostierung mit der Wurmkiste und dem Bau von Hochbeeten anbieten können. Diese Workshops führen nicht nur dazu, dass Wissen vermittelt wird, sondern auch das Menschen sich kennenlernen und vernetzen. Aus dem Netzwerk heraus können auch Bildungsthemen vorgeschlagen werden. Wenn es niemanden aus der Region gibt, der sich auf dem Gebiet auskennt, dann organisieren wir externe Referent:innen. Zum Beispiel haben wir auf Wunsch einen Online-Themenabend zum Thema „Rechtsextremismus im Naturschutz“ organisiert.

Aber wie finden die Menschen zueinander und zu Urban Gardening?
Man muss bei den Menschen keine Türen einrennen, die stehen schon offen, gerade auch in Siegen. Was tatsächlich passiert, hängt von den Menschen ab, die sich regelmäßig engagieren und treffen. Wir vom Projekt „Urban Gardening SiWi“ sind erstmal nur dafür da die eigenständig organisierten Projekte durch Vernetzung und Bildung zu unterstützen. Jeder urbane Garten ist anders organisiert, setzt andere Schwerpunkte. Die einen haben regelmäßige Termine, die anderen eher spontan-privaten Charakter. Aber jeder ist willkommen mit seinen Erfahrungen und Interessen; zum Kochen, Gärtnern, Reparieren, Bauen. Zum Beispiel auch Menschen mit kreativen Fähigkeiten, fürs Design von Webseiten oder Flyern. Oder die, die einen Kuchen für die anderen Ehrenamtlichen backen. Das ganze Vorhaben lebt davon, andere zu begeistern, zu motivieren. Ohne Gemeinschaft undenkbar.

Haben Sie Beispiele für solche Initiativen?
Es gibt eine ganze Reihe: Die Initiative „Siegen isst bunt“ startete vor einiger Zeit das Projekt „Gemüse sucht ein Zuhause“. 50 pflegeleichte Chili-Pflanzen wurden an „Pflegeeltern“ weitergegeben, die sich vernetzten und austauschten, ernteten und wiederum Samen weitergaben. In diesem Jahr folgten Tomaten An der früheren Hammerhütter Schule gibt es inzwischen einige Hochbeete; jüngst wurde der eingetragene Verein „Lebensmittel Teilen“ als „institutioneller Arm“ der Initiative gegründet. Ein anderes Beispiel ist die Initiative Effertsufer: Dort stellt das städtische Grünflächenamt die Fläche zur Verfügung, die wegen des Zugangs zur Sieg nicht bebaut werden darf. Auf diese Weise unterstützt die Stadt das Projekt. Aber die Initiative ging von Anwohner:innen der Nachbarschaft aus, die sich wieder einen Gemeinschaftsgarten im Quartier Hammerhütte wünschen, die Projektkoordination begleitet und unterstützt. Es gibt zahlreiche weitere Initiativen. Vor allem viele Kitas und Schulen haben ein großes Interesse, Gärten in ihre pädagogische Arbeit zu integrieren, weil das natürlich ideal für das Thema Ernährungsbildung ist. Auch Senioren und Behinderteneinrichtugen haben bereits ihren Weg ins Netzwerk und zum gemeinschaftlichen Gärtnern gefunden.

Zeigt die Vernetzung unter den Initiativen denn Wirkung?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt tolle Beispiele, die zeigen, dass gemeinsam mehr erreicht werden kann als alleine. Beispielsweise hat sich der Permakulturgarten in Oberholzklau vorgenommen einen Geodom zu bauen. Das ist ein Gewächshaus in Form einer Kugel. Die Umsetzung ist eine technische Herausforderung. Die Jugendwerkstatt vom Fischbacherberg, die technisch mit Werkzeug und Expertise ausgestattet ist, unterstützt Bau und Zuschnitt. Die Jugendlichen kommen durch die Zusammenarbeit in Kontakt mit neuen Menschen und neuen Möglichkeiten.

Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die städtischen Streuobstwiesen, die vom Siegener BUND gepflegt und beerntet werden. Die Apfelbäume hingen dieses Jahr so voll, dass der BUND, der hauptsächlich von Senior:innen getragen wird, die Ernte kaum bewältigen konnte. Die Initiative Foodsharing Siegen, die sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen, hat dort mit jungen Menschen und Familien an mehreren Tagen tatkräftig mitangepackt. Überschüssige Äpfel wurden über den Siegener Unverpackt Laden kostenlos weitergegeben. Heute veranstalten die Initiative Siegen isst bunt einen Workshop zum Verarbeiten von Äpfeln. Es wird Apfelmuss, Bratapfelmarmelade, Saft und getrocknete Apfelringe geben. Es gibt so viele Möglichkeiten und Ressourcen in unserer Region, wenn man nur von ihnen weiß.

Jetzt im Herbst und Winter ist keine Gartenzeit. Wie sind dann ihr Alltag aus?
Das stimmt nur bedingt. Auch im Winter kann man noch ernten: Rosenkohl, Grünkohl, Endiviensalat, Feldsalat, Spinat und Asiasalate. Aber ja tatsächlich gibt es immer Winter weniger Arbeit im Garten. Umso mehr Zeit bleibt für die Vernetzung und Bildungsarbeit. Die Projekte aus der Region  werden in den kommenden Wochen auf unserer Internetseite vorgestellt: www.urbangardening-siwi.de. Außerdem planen wir die Bildungsarbeit für die kommende Saison. Momentan stellen wir ein Programm auf die Beine. Der Winter ist auch immer eine gute Zeit für Reflexion. So halten wir Rücksprache mit den Netzwerkpartnern: Was ist im ersten Jahr gut gelaufen? Was wünschen wir uns noch für das 2. Projektjahr. Im Januar Februar geht es dann aber auch schon wieder los mit der Jungpflanzenanzucht und der Organisation von Saatguttausch und –teil-Börsen. Mit Garten wird einem nie langweilig – auch nicht im Winter.

Weitere Informationen

=> Urban Gardening Siegen 
Wittgenstein

=> Förderprojekt U-3966 Urban Gardening Siegen-Wittgenstein

 

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